Streit vor Gerichten: Sehen Heimbewohner "privat" oder "öffentlich" fern?


09.02.2024 - Verletzt ein Seniorenheim Urheberrechte, wenn es in die Zimmer und Wohnungen seiner Bewohner*innen empfangene Rundfunkprogramme durch ein Kabelnetz weiterleitet? Mit dieser Frage haben sich deutsche Gerichte beschäftigt – jetzt liegt sie beim Europäischen Gerichtshof (EuGH).

ZUR SACHE

In Konflikt gerieten auf der einen Seite Verwertungsgesellschaften, die die urheberrechtlichen Nutzungsrechte von Musikurhebern und Sendeunternehmen wahrnehmen – und auf der anderen Seite ein Pflegeheim in der Pfalz.
In dessen Pflegebereich wohnen in 88 Einzel- und drei Doppelzimmern auf Dauer 89 pflegebedürftige alte Menschen, die umfassend versorgt und betreut werden. Zusätzlich zum Pflegebereich verfügt die Einrichtung über verschiedene Gemeinschaftsbereiche wie Speisesäle und Aufenthaltsräume.

Nun hatte das Pflegeheim über eine eigene Satellitenempfangsanlage Rundfunkprogramme (Fernsehen und Hörfunk) empfangen und diese zeitgleich, unverändert und vollständig über ein Kabelnetz an die entsprechenden Anschlüsse der Heimbewohner*innen weitergeleitet.

Dafür verlangten die Verwertungsgesellschaften – erfolglos – eine Vergütung. Denn sie standen auf dem Standpunkt, dass das Heim mit der Weiterleitung der Programme eine öffentlichen Wiedergabe erfüllte. Das Heim hingegen bestritt das. Also wurde die Sache gerichtsnotorisch.

Im Kern musste die Frage entscheiden werden: Sind Heimbewohner*innen eine Öffentlichkeit oder eher ein privater Kreis?

DIE GERICHTE

▶︎ Die Verwertungsgesellschaften hatten das Heim verklagt. Das Landgericht Frankenthal gab ihnen Recht und untersagte dem Heim die Weitersendung der Rundfunkprogramme (Az 6 O 272/21).

▶︎ Das Heim ging in die Berufung – und fand beim Oberlandesgericht Zweibrücken Gehör. Das änderte das Urteil des Landgerichts und wies die Klagen der Verwertungsgesellschaften ab (4 U 101/22).
Begründung: Die Weitersendung der Rundfunkprogramme durch das Heim sei keine öffentlichen Wiedergabe. Und die Heimbewohner*innen, anders als Gäste in einem Hotel, ein begrenzter Personenkreis, der eher einer Wohnungseigentümergemeinschaft ähneln würde. Dies sei eine strukturell homogene und auf dauernden Verbleib in der Einrichtung ausgerichtete stabile Gruppe mit eher niedriger Fluktuation. Die Gemeinschaftsräume wiederum böten die Möglichkeit zu gemeinsamen Mahlzeiten, persönlichem Austausch und sozialem Miteinander der Bewohner*innen.

▶︎ Daraufhin legten die Verwertungsgesellschaften Revision ein, sodass der Fall schließlich beim Bundesgerichtshof (BGH) landete. Der wollte jedoch nicht entscheiden, bevor nicht der Europäische Gerichtshof (EuGH) sich zur Kernfrage geäußert hat: Handelt es sich bei den Heimbewohner*innen im Sinne einer "öffentlichen Wiedergabe" um eine "unbestimmte Anzahl potentieller Adressaten" (etwa wie Hotelgäste) und damit um eine "Öffentlichkeit" – oder sind Heimbewohner*innen "besondere Personen, die einer privaten Gruppe angehören" und damit keine Öffentlichkeit bilden?

Das Verfahren am BGH (Az I ZR 35/23) wurde bis zu einer Entscheidung des EuGH ausgesetzt.

DIE FOLGEN...

... sind je nach den noch ausstehenden Entscheidungen des EuGH und des BGH heute noch nicht absehbar. Würde das betroffene Heim das Nachsehen haben, so müsste es mit einer jährlichen Zahlung von 6000 Euro an die Verwertungsgesellschaften rechnen. Für den Betreiber könnte es noch teurer werden, denn nach Presseinformationen gehören rund 120 Heime zu seiner Gruppe...

Darüber hinaus hält das beklagte Heim es für möglich, dass eine Niederlage von grundsätzlicher Bedeutung sein und die gesamte Altenpflegebranche betreffen könnte.

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressemitteilung 25/2024




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