Konzept "Care Share 13": Würde Pflegesystem komplett umkrempeln


26.07.2023 - Das Institut für Pflege, Altern und Gesundheit (IPAG) fordert eine zeitgemäße Gesundheitsversorgung in Deutschland, die künftig menschenzentriert, interprofessionell und regional ausgerichtet sein sollte. Dafür hat ein Expertenrat des IPAG das Konzept "Care Share 13" erarbeitet und vorgelegt.

Laut IPAG folge das Konzept dem Leitbild einer medizinisch-pflegerisch-gesundheitstherapeutische Infrastruktur für die soziale Daseinsvorsorge. Dazu schreibt das Institut auf seiner Homepage:

"Wir bringen dafür mit Care Share 13 einen Architekturentwurf für ein zeitgemäßes Gesundheitssystem in die versorgungspolitische Diskussion ein, bei dem der zu versorgende oder hilfesuchende Mensch im Mittelpunkt steht. Die Verwirklichung des Care Share-Gesundheitssystems erfordert eine tiefgreifende Transformation, denn es sind bestehende, mächtige Rechtsregeln aufzugeben und ein zukunftsorientiertes, bürokratisch barrierefreies Gesundheitsrecht zu entwickeln."

Kernelement des Konzeptes ist ein neu zu schaffendes Sozialgesetzbuch 13 (SGB XIII), in dem die Gesundheitsversorgungsleistungen der bestehenden Sozialgesetzbücher im Sinne der modernen, integriert-interprofessionellen Care Share-Versorgung barrierefrei, evidenzbasiert und unter Berücksichtigung neuer Vergütungmixe zusammengeführt werden. Zusätzlich sollen im neuen SGB XIII erstmals die Leistungen der beruflichen Fachpflege abgebildet und kodifiziert werden. In der Konsequenz wären die bestehenden Sozialgesetzbücher zu straffen, abzuschaffen oder passgenau umzubauen.

Das IPAG kritisiert, dass die heutige Sektorenarchitektur des Gesundheitssystems nicht mehr passe. "Gesundheitsversorgung ist staatliche Daseinsvorsorge. In Deutschland wird diese nach dem Bismarck- Systemtyp „anlassbezogen“ und „arztvorbehalten“ zur Verfügung gestellt. Grundlage hierfür ist das Sozialgesetzbuch V über die Krankenversicherung, das 1989 aus der Reichsversicherungsordnung (RVO 1911) hervorging. Die Gesundheitsversorgung wird nach diesem Modell weder strukturiert mit geographischem Bezug noch interprofessionell oder menschzentriert geplant."

Dazu werden in einem Kurzpapier vier Thesen näher erörtert:
▶︎ Ärzt:innenzentrierung verhindert Interprofessionalität
▶︎ Regionale Governancestruktur fehlt
▶︎ Pflegeversicherung ist ein Irrtum
▶︎ Systemdualität durch GKV und PKV verhindert solidarische Beitragsfinanzierung

Das Konzept "Care Share 13" liefere nun eine infrastrukturelle Systemtektonik, so das IPAG. Ein herausgegriffener Punkt ist dabei, die alte Pflegeversicherung abzuschaffen, die Berufspflege in einem neuen SGB 13 zu verankert und die Inhalte der Alltagshilfen in einem neuen SGB XI oder „Alltagshilfengesetz” festzuschreiben. (...) Eine Aufbaudekade für die Berufspflege soll eine systemstrukturelle Selbstverwaltungsverankerung mit Kammer, Berufs- und Leistungsrecht, datengestützter Klassifikationssprache und eigener wirtschaftlicher Vertretung gewährleisten. Länder und Kommunen sowie die „bisherigen Selbstverwaltungspartner:innen“ sollen sich in Care Share die sozialraumbezogene Planung, Organisation, Verantwortung der Gesundheitsversorgung teilen und eine Care Share Finanzierung entwickeln.

Das Kurzpaper beschreibt wörtlich:

1. Regionale Care Share-Verbünde als neue Care Share Governancestruktur: Care Share wird von einer zu implementierenden regionalen Steuerungsebene sozialraumbezogen interprofessionell geplant, organisiert und verantwortet. Die Gebietskörperschaften (Bundesländer, Kommunen, Landkreise, Städte), die „bisherigen Selbstverwaltungsorgane“ (Kassen, Kassenärztliche Vereinigungen) sowie neue Akteur:innen wie v. a. Vertreter:innen der Berufspflege, arbeiten in Form einer Shared Leadership zusammen und ermöglichen, dass auch andere Berufsgruppen (z.B. Apotheker:innen, Therapeut:innen) und die Zivilgesellschaft vor Ort mitwirken können. Durch die Interprofessionalität der Berufe und der Versorgungsebenen ist Care Share salutogenetisch aufgestellt.

2. Medizinisch-pflegerische Tandem-Versorgung ist „Zentrallinie“:
Medizin und Fachpflege sind in Care Share ein Tandem. Die hausärztlich-pflegerische Versorgung wird in einem Tandem-Vertrag neu zueinander entwickelt, und zwar ohne Ärzt:innenvorbehalt und Pflegebedürftigkeitsbegriff. Die aufsuchende Tandem-Versorgung (Hausbesuche) wird regional nach einer logistisch sinnhaften, ressourcenschonenden Tourenplanung (Zeit, Geld, Fachpersonal) geplant und mit telemedizinischen und telepflegerischen Instrumenten unterstützt. Die fachärztliche, therapeutische und fachpflegerische Versorgung wird nach Patient:innenpfaden in v. a. Chronic Care- Modulen an die Tandems angedockt (hierfür werden die bestehenden Kollektiv- und Selektivverträge „flurbereinigt“). Nach dem Vorbild einer Clinical Leadership (Shared Governance auch im Krankenhaus, u. a. in Magnet-Krankenhäusern) arbeiten Tandems auch in Krankenhäusern oder Einrichtungen der stationären Langzeitpflege und dies auch hybrid, z. B. in regionalen Versorgungszentren.

3. Care Share Finanzierung ist solidarisch, salutogenetisch und gemeinwohlorientiert: Care Share-Kostenträger entwickeln sich aus den bisherigen Kranken- und Pflegekassen zu Care Share-Kooperativen weiter. Für die PKV gibt es eine EXIT-Strategie aus dem Krankenversicherungs- vollgeschäft: Entweder Aufgabe oder Transformation in Care Share-Kostenträger. Auf Basis eines einheitlichen Versicherungssystems können unter Anwendung neuer Expertisen, wie z. B. die der Wirtschaftsgeographie und gemeinwohlorientierter Finanztheorien, die Versorgungsaufgaben neu bestimmt und moderne Mischfinanzierungen aus Beitrags- und Steuermitteln, gemeinwohlorientiertem Privatkapital und Selbstbeteiligungsmodellen entwickelt werden.

Dazu mehr auf dem 28. Bundeskongress! Prof. Dr. Martina Hasseler von der Ostfalia Hochschule hat das Care-Share-13-Papier mitentwickelt. Sie wird auch auf dem 28. Bundeskongress des DVLAB am 9./10. November 2023 in Berlin als Referentin zu Gast sein. Dort spricht sie über die Frage: Welche Pflegequalität ist perspektivisch noch realistisch? Herausforderung und Lösungswege.

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